Das Länderspielverzeichnis der FIFA: ein Zeuge aus der Pionierzeit des Fussballs

© FIFA Museum
© FIFA Museum

Im Museumsbereich “Die Fundamente“ ist das Länderspielverzeichnis aus dem FIFA-Archiv ausgestellt, in dem die Resultate von Länderspielen aufgeführt sind. Auf den ersten Blick scheint das Verzeichnis nichts Besonderes zu sein. Bei genauerem Hinschauen entpuppt es sich aber als Tor in die Vergangenheit.

Das Länderspielverzeichnis, das im FIFA Museum ausgestellt ist, liefert nicht nur Einblicke in die Arbeit der FIFA in den Anfängen des Weltfussballs, sondern hebt auch vier zentrale Figuren in der Geschichte der FIFA hervor, die während mehr als einem Dreivierteljahrhundert eine Reihe von Logbüchern führten. Im Mai 1902 schlug die erste dieser Persönlichkeiten, der Niederländer Cornelis August Wilhelm Hirschman, in einem Brief an den englischen Fussballverband in London vor, einen internationalen Fussballverband zu gründen. Dieser Brief sollte zwei Jahre später zur Gründung der FIFA führen. Wie viele andere in Europa sah der damals 27-jährige Hirschman, der selbst ein begeisterter Fussballer und Fussballfunktionär war, in der Gründung eines internationalen Verbands die Möglichkeit für Vereine, insbesondere solche in Grenznähe, Spiele gegen Teams auf der anderen Seite der Grenze unter der Leitung eines anderen Verbands zu bestreiten.

In seinem Brief schlug er ferner die Einführung eines internationalen Turniers vor – eine Idee, die 28 Jahre später zur Austragung der ersten Weltmeisterschaft führen sollte. Aber das ist eine andere Geschichte. Als Hirschman 1906 von FIFA-Präsident Daniel Burley Woolfall zum Generalsekretär der FIFA ernannt wurde, bestimmten internationale Spiele von National- und nicht Vereinsteams seinen Arbeitsalltag. Beim FIFA-Kongress 1907 in Amsterdam präsentierten Woolfall und Hirschman neue Statuten, die der FIFA die Kontrolle über Länderspiele übertrugen – eine Aufgabe, mit der sie bis heute betraut ist. Gemäss den neuen Statuten durften alle Länderspiele für das kommende Jahr nur beim Kongress festgelegt werden, wobei der FIFA alle Resultate zu melden waren. Dies war der Auftakt von Hirschmans Karriere als „Wächter“ des Länderspielverzeichnisses.

 

5. Juni 1924, FIFA-Funktionäre posieren während des 13. FIFA-Kongresses in Paris für ein Gruppenfoto.
5. Juni 1924, FIFA-Funktionäre während des 13. FIFA-Kongresses in Paris. V.l.n.r. Vittorio Pozzo (Italiens Trainer, stehend links in der ersten Reihe)... Hugo Meisl (Österreichs Trainer, Schnauzbart, hinter Pozzo)... Edoardo Pasteur (alt. Vertreter des ital. Fussballverbands, vordere Reihe, dunkler Anzug, Fliege)... Henri Delaunay (FFF-Generalsekretär, hintere Reihe, rechts von Pasteur)... Dr. Enrique Buero (Leiter der Delegation Uruguays, vordere Reihe, Zigarette in der Hand), Casto Martínez Laguarda (Delegierter Uruguays, vordere Reihe, neben Buero), Asdrúbal Casas (Delegierter Uruguays, vordere Reihe, neben Martínez Laguarda)... J. Rimet (FIFA-Präsident, vordere Reihe, Mitte des Bildes, dunkler Anzug)... CAW Hirschmann (FIFA-Generalsekretär, eine Person rechts neben Rimet) © FIFA Museum

Beim Kongress 1924 in Paris wurde eine neue Regelung eingeführt, die das Aufzeichnen von Länderspielen für die FIFA noch wichtiger machte: die Spielabgabe. Es wurde beschlossen, dass der FIFA 7,5 % der Bruttoeinnahmen bei Länderspielen, mindestens aber ein Betrag von USD 5 zu zahlen seien, um die Arbeit des Weltfussballverbands effizienter zu gestalten. Diese Aufzeichnungen wurden am FIFA-Hauptsitz an der Nicolaas Maesstraat 67 in Amsterdam, der Wohnadresse Hirschmans, aufbewahrt, gingen 1932 beim Umzug der FIFA von Amsterdam nach Zürich aber leider verloren. Glücklicherweise hatte Hirschman die Angaben zu sämtlichen Spielen ab November 1927 auch in der von ihm herausgegebenen offiziellen FIFA-Publikation festgehalten.

Das handgeschriebene Verzeichnis, das im Museum ausgestellt ist, stammt aus der Zeit, als Ivo Schricker das Amt des FIFA-Generalsekretärs von Hirschman übernahm. Im Zuge der Reorganisation der FIFA verliess Schricker, einer der grössten Pioniere des deutschen Fussballs, seine Heimatstadt Karlsruhe und bezog die neuen FIFA-Räumlichkeiten an der Zürcher Bahnhofstrasse. Dies ist das Buch, in dem er nach seinem Umzug mit seinen Aufzeichnungen begann.

Wie Hirschman war auch Schricker ein leidenschaftlicher Fussballer und Fussballfunktionär. 1899 war es ihm gelungen, eine englische Auswahlmannschaft für einige Spiele in Deutschland zu verpflichten. Im September 1901 bei einem inoffiziellen Länderspiel an der Hyde Road in Manchester spielte er als Kapitän einer deutschen Auswahl gegen ein starkes englisches Team mit den besten Spielern der damaligen Zeit, darunter Bob Crompton und Steve Bloomer. Wie auch Hirschman führte Schricker das Verzeichnis nicht nur wegen der Spielabgabe, die der FIFA zu zahlen war, sondern vor allem auch aus aufrichtigem Interesse am Fussball.

Länderspielverzeichnis der FIFA, Schweiz 1932-1942.  © FIFA Museum
Länderspielverzeichnis der FIFA, Schweiz 1932-1942. In der Ausstellung (Titelbild) befindet sich eine originalgetreue Nachbildung. Das Original befindet sich in unserem Archiv. © FIFA Museum (Klicken zum Vergrössern)

Das Buch ist stark abgegriffen und an den Kanten etwas abgenutzt, aber im FIFA-Archiv gibt es noch mehr. 1951 trat der Schweizer Kurz Gassmann Schrickers Nachfolge als FIFA-Generalsekretär an und führte die Aufzeichnungen ebenso weiter wie sein Nachfolger Helmut Käser von 1961 bis 1981. Im FIFA-Archiv stapeln sich immer noch ganze Papierbögen, die das Länderspielverzeichnis zwischenzeitlich abgelöst haben und oftmals mit den noch detaillierteren Spielberichten der Schiedsrichter zusammengeheftet sind.

Heutzutage erfolgen diese Aufzeichnungen selbstverständlich digital. Und die Spielabgabe existiert nicht mehr. Im Gegenteil: Dank dem FIFA-Forward-Programm fliesst das Geld heute in die entgegengesetzte Richtung. Fussballhistoriker mögen allerdings mit Wehmut an die Zeiten zurückdenken, als die Geschichte der Länderspiele noch auf Papier festgehalten wurde.

Und genau das macht Schrickers Verzeichnis so besonders.

 

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