Die Tatsache, dass Grossbritannien bei den Olympischen Spielen in Tokio eine Mannschaft für das Frauenfussballturnier stellte, dürfte daher bei manchem Fussballfan für Verwunderung gesorgt haben. Deshalb beschäftigen wir uns heute mit einer der grössten Kuriositäten im Fussball – Grossbritanniens Vertretung beim olympischen Fussball – und erklären, was es damit auf sich hat.
Für Fussballfans in aller Welt sind England, Nordirland, Schottland und Wales vertraute Bezugspunkte, und zwar seit der Geburt des internationalen Fußballs in den frühen 1870er Jahren. Doch bei den Olympischen Spielen müssen sie wie alle Athleten aus dem Vereinigten Königreich unter dem Union Jack als Team GB antreten. Wie ist es dazu gekommen, und wie viele verschiedene Namen darf ein Land überhaupt haben?
Bei der Beantwortung dieser Fragen hilft ein kurzer geografischer Exkurs. Offiziell heisst das Land „Vereinigtes Königreich Grossbritannien und Nordirland“ oder kurz UK - auch bei den Vereinten Nationen. England, Schottland und Wales gehören zu Grossbritannien, das die grösste der insgesamt 67 Britischen Inseln ist, gefolgt von Irland, das heute aus der Republik Irland und Nordirland besteht, bis vor 100 Jahren aber noch vereinigt war und schlicht Irland hiess.
England, Irland, Schottland und Wales (jeweils in alphabetischer Reihenfolge aufgeführt, um jeden Befangenheitsanschein zu vermeiden) sind seit je eigenständige Nationen. Alle vier haben eigene Kulturen, Traditionen, politische Institutionen und bis heute gepflegte Sprachen. Während der von Krieg und Frieden geprägten jahrhundertelangen Geschichte gab es immer wieder Allianzen und Bünde, etwa als England und Schottland 1603 unter die Herrschaft desselben Königs kamen. Obwohl Wales bereits 1284 dem britischen Königreich angegliedert worden war, blieben alle drei bis zum Act of Union im Jahr 1707 politisch eigenständig. Erst ab diesem Zeitpunkt wurde der Begriff „Grossbritannien“ nicht nur in einem geografischen, sondern auch in einem politischen Kontext verwendet. 1801 trat Irland dieser Union bei, womit die Bezeichnung „Vereinigtes Königreich Grossbritannien und Irland“ entstand.
Grossbritanniens Beziehung zum Fussball
Die Beziehungen zwischen den vier Ländern innerhalb der Union waren nie einfach, und vor dem Hintergrund heftiger nationalistischer Politik, insbesondere in Irland, entstand 1863 der Association Football. In London wurde daraufhin ein Fussballverband gegründet, der aber schon Mühe hatte, sich in England Geltung zu verschaffen, geschweige denn in Irland, Schottland und Wales. Deshalb gründeten auch Schottland (1873), Wales (1876) und Irland (1880) eigene Verbände. Jeder Verband betrieb daraufhin seine eigenen Ligen und Pokalwettbewerbe, sodass eine britische Liga oder ein britischer Pokal nie zur Debatte stand. Die Trennung belegt auch ein internationales Turnier für die Nationalteams der vier britischen Nationen, das 1904, als die FIFA gegründet wurde, bereits seit 20 Jahren insbesondere im Hampden Park in Glasgow und im Crystal Palace in London die Massen anzog.
Damals war der Association Football noch immer ein weitgehend „britischer“ Sport. So sollte es noch viele Jahre dauern, ehe irgendwo auf der Welt annähernd so viele Zuschauer in ein Stadion strömten wie beim Finale des FA Cup 1901 im Crystal Palace, zu dem 110 820 Besucher kamen. Doch es gab ein grosses Problem, denn laut FIFA-Statuten (die von den Engländern verfasst worden waren) war pro Land nur ein Verband zugelassen. Für die vier britischen Verbände wurde deshalb kurzerhand eine Sonderregelung erlassen, die bis heute Bestand hat. Nachdem die Aufnahme Irlands und Schottlands beim FIFA-Kongress 1908 aus Furcht vor einem gefährlichen Präzedenzfall noch aufgeschoben worden war, besann sich der Kongress zwei Jahre später in Mailand anders und lud die Verbände Irlands, Schottlands und Wales‘ zum Beitritt zur FIFA ein.