Bei der WM 1938 wurde Leônidas da Silva mit sieben Treffern Torschützenkönig. Die Teilnehmermedaille der brasilianischen Fussballikone kehrt nun zu ihrem Ursprung zurück. Dominik Petermann von der Museumsdokumentation schreibt, wie das Ausstellungsstück seinen Weg von São Paulo ins FIFA Welt Fussball Museum fand.
20 Teilnahmen und fünf Titelgewinne bei Weltmeisterschaften: Brasiliens 101-jährige Fussballgeschichte ist ebenso beeindruckend wie inspirierend. Grosse Namen, von Arthur Friedenreich bis Neymar Jr., liessen die Seleção über die Jahrzehnte hinweg zum Sinnbild für das schöne Spiel werden. Wirft man einen Blick zurück in die 1930er-Jahre, sticht ein Mann besonders heraus. In seiner Heimat nennt man ihn liebevoll "O Diamante Negro". Für die Brasilianer war er "unser erster internationaler Star".
Leônidas da Silva zeigte auf den europäischen Bühnen, wie man in Brasilien Fussball spielt. Legte eindrucksvoll dar, wie die Kicker vom Zuckerhut flink mit dem Ball umzugehen wussten. Er war es, der die Weltmeisterschaften in Italien 1934 und in Frankreich 1938 prägte. Vor allem bei jener WM 1938 gelangte er als erster brasilianischer Fussballer zu Weltruhm, als er mit sieben Treffern Torschützenkönig wurde.
1950 hängte Leônidas seine Fussballschuhe an den Nagel und wechselte an den Spielfeldrand – als Sportreporter. Von 1958 bis 1974 begleitete er die Seleção zu etlichen Weltmeisterschaften. In dieser Zeit lernte er auch seine letzte Ehefrau kennen: Albertina Pereira dos Santos. Mit ihr lebte er bis zu seinem Tod 2004. Auch in den letzten Jahren seines Lebens, als er an Alzheimer erkrankte und zehn Jahre in einer Klinik verbrachte, war sie stets an seiner Seite. Und bis heute hütet sie in São Paulo sein Erbe.
Am 6. September 2013, es wäre der 100. Geburtstag von Leônidas gewesen, erschien in der "Folha de S.Paulo", einer der grössten Tageszeitungen Brasiliens, ein Porträt über Albertina Pereira dos Santos. Die Überschrift lautete: "Die Witwe von Leônidas weiss nicht, was tun mit der Medaille des Torschützenkönigs der WM 1938". Sie habe noch so viele Erinnerungen an ihren 2004 verstorbenen Ehemann, erzählte sie damals dem Blatt. Mitunter Fotos, Zeitungsartikel, Bücher, Bilder, Trophäen und eben auch diese ganz besondere Medaille aus dem Jahr 1938.
Mitten in São Paulo, im schmucken Stadtteil Paraíso, lebt sie zurückgezogen in einer kleinen Wohnung. In einem Hinterzimmer, das sie liebevoll "das Museum" nennt, sind die Denkwürdigkeiten von Leônidas' Karriere aufbewahrt. "Ich hatte bereits daran gedacht", fuhr sie im Artikel fort, "eine Gedenkstätte hier in der Wohnung einzurichten. Ein Leônidas-Haus sozusagen. Aber es fehlten immer die nötigen Förderer." Leider habe sich diese Idee nie verwirklichen lassen, schloss sie ab und meinte mit einem Augenzwinkern: "Wenn Sie eine andere Idee haben, lassen Sie es mich wissen."
Ein vom FIFA-Museum zusammengestelltes Team führte eine intensive Recherche, um am Ende über ein altes Telefonbuch in Brasilien tatsächlich auf Leônidas' Witwe zu stossen. In zahlreichen Telefonaten wirkte sie gegenüber der Idee stets sehr aufgeschlossen und sogar ein wenig gerührt. Ihr ging es doch stets nur darum, ihrer grossen Liebe auf dem nachträglichen Weg zu ewigem Ruhm zu helfen. Endlich schien eine versöhnliche Lösung gefunden. Schliesslich, nachdem alle Formalitäten geklärt waren, unternahmen Vertreter des FIFA-Museums im Oktober 2015 eine Reise nach Brasilien, um die Memorabilien abzuholen.
Ein zaghaftes Klingeln an der Haustür. Voller Vorfreude, aber auch mit einer gehörigen Portion Nervosität wartete das Team aus Zürich darauf, dass Albertina Pereira dos Santos öffnete. Sie tat es mit einem Strahlen im Gesicht, zeigte alle Erinnerungstücke und erzählte aus vergangenen Zeiten und dem Leben mit dem Fussballstar. Sie sei keine Pedantin, bemerkte sie, als sie mit Schachteln auf dem Arm vom Hinterzimmer zurück ins Wohnzimmer kam, aber es sei alles da.
Gespannt wurde den Erzählungen gelauscht, die sie zu den Fotos und Zeitungsartikeln zu berichten wusste. Sie freute sich über den Vorschlag, ihrem verstorbenen Ehegatten einen würdevollen Platz im FIFA-Museum einzurichten – schliesslich war und ist Leônidas Teil der WM-Geschichte. Dies sei allemal besser, als wenn die Sachen hier verstaubten, sagte sie mit einem Lächeln.
So landete die Medaille in Zürich und findet zusammen mit den anderen Erinnerungsstücken ihre Ruhestätte. Der Kreis schliesst sich: Nach fast 80 Jahren kehrt sie wieder zu ihrem Ursprung zurück. Als er am 24. Januar 2004 starb, hinterliess er eine wunderschöne Fussballgeschichte. Nun kann man diese mit seinem Erbe im FIFA-Museum bestaunen. Die FIFA ehrt damit einen brasilianischen Volkshelden – und einen der grössten Fussballer überhaupt.